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Sigrid Herrenbrück
Leiterin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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Digitale Wende?


Für viele Menschen steht Google für das Internet schlechthin. Wenn die Öffentlichkeit also beginnt, sich kritisch mit Google auseinandersetzen, geht es nicht nur um eine zumindest in Deutschland marktbeherrschende (und äußerst erfolgreiche) Suchmaschine, sondern um zahlreiche ungelöste Fragen des digitalen Raums, die sich am Beispiel von Google manifestieren: Sei es der Daten- und Verbraucherschutz, das Urheberrecht mit seinen Haftungsfragen oder das Powerplay muskelspielender Internetkonzerne.

Auf der Welle der allgemeinen Netzeuphorie verstanden sich Google & Co bislang als Meister darin, sich scheinbar selbstlos im Dienste der Verbraucher, der Freiheit, der Partizipation zu portraitieren. Wer Freiheiten in dieser neuen digitalen Welt einschränken wollte, war gegen den Wandel, gehörte zum Establishment, zur alten Welt und war schlicht zukunftsunfähig – kein Attribut, mit dem sich gerade die Politik gern umgibt. Für Google ging die Rechnung lange auf, die Marke war wie Teflon: Ob Street View oder das Auslesen der Mailinhalte zu Werbezwecken, keine noch so schockierende News blieb lange haften. 

Seit dem Frühjahr dieses Jahres kündigt sich nunmehr eine digitale Wende an. Neben zwei wegweisenden Urteilen des Europäischen Gerichtshofs, der die <link http: www.tagesschau.de wirtschaft raubkopien106.html _blank external-link-new-window external link in new>Sperrung illegaler Websites grundsätzlich für zulässig erklärt und kürzlich das<link http: www.tagesschau.de ausland google-urteil100.html _blank external-link-new-window external link in new> „Recht auf Vergessen“ neu geschaffen hat, trug dazu der viel zu früh verstorbene Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Frank Schirrmacher bei, der als einer der ersten Publizisten eine breit angelegte kritische Auseinandersetzung mit den neuen digitalen Realitäten initiierte: In einer Debattenreihe im Feuilleton ließ er Google-Kritiker wie Matthias Döpfner oder Internetavantgardisten wie Jaron Lanier, bis dato gerne als „Internetpessimist“ abgetan, zu Wort kommen und läutete damit einen lange überfälligen gesellschaftlichen Diskurs ein. Die neuen Töne verfehlten ihre Wirkung nicht und tragen heute entscheidend zum Blick hinter die Fassaden der digitalen Coolness bei. Damit ist eine wichtige Etappe gewonnen: Die einseitige Fokussierung auf die Freiheit im Netz (allein) kann für beendet erklärt werden.


Stattdessen rückt die Notwendigkeit der (ordnungspolitischen) Regulierung des digitalen Raums, wie sie auch vom Mediendialog Hamburg prominent diskutiert wird, immer stärker in den Fokus – bevor die Internetkonzerne diesen Raum nach ihren Regeln selbst gestalten, sei an dieser Stelle hinzugefügt. Um es <link http: www.faz.net aktuell feuilleton debatten die-digital-debatte google-debatte-waffen-im-digitalen-freiheitskampf-13004055.html _blank external-link-new-window external link in new>in den Worten des "Handelsblatt"-Herausgebers Gabor Steingart zu sagen: „Die Politik hat, und das gehört zu den erfreulichen Befunden dieser Debatte, ihren Dämmerschlaf beendet.“ Gemeint ist damit auch ein Vorstoß des Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel, der <link http: www.faz.net aktuell feuilleton debatten die-digital-debatte sigmar-gabriel-konsequenzen-der-google-debatte-12941865.html _blank external-link-new-window external link in new>in einem Beitrag in derselben Debattenreihe „vier fundamentale Aufgaben im Kampf um die Freiheit in der digitalen Ära“ formulierte. Ausgehend vom Urteil des Europäischen Gerichtshofs gehe es darum, die Mystifizierungen, die das Internet umgeben, zu entzaubern und neue Regeln im digitalen Zeitalter zu finden.

Dass wir nunmehr in der lang erwarteten digitalen Ordnungsdebatte ankommen, zeigen im Übrigen auch zwei Kartellverfahren, die in der vergangenen Woche in Deutschland eingeleitet wurden: Zum einen hat der Börsenverein des Deutschen Buchhandels gegen Amazon <link http: www.zeit.de kultur amazon-boersenverein-beschwerde-bundeskartellamt _blank external-link-new-window external link in new>Beschwerde beim Bundeskartellamt eingelegt, zum anderen hat die VG Media, stellvertretend für 12 Verlage von Axel Springer bis Burda, mit Blick auf das Leistungsschutzrecht für Verleger <link http: www.faz.net aktuell feuilleton medien missbrauch-der-marktmacht-verlage-gehen-gegen-google-vor-13007517.html _blank external-link-new-window external link in new>ein Kartellrechtsverfahren gegen Google eröffnet.

Die aktuellen Entwicklungen bieten die Chance, endlich eine Annäherung zwischen der digitalen und der analogen Welt voranzutreiben – längst sind beide Welten real und trotzdem ist die eine nach wie vor „Neuland“. Dabei sind natürlich die Politik, die Behörden und die Gerichte gefragt, aber nicht nur. Am Ende geht es um alle Teilnehmer im digitalen Raum, vor allem natürlich die Nutzer der Webinhalte. Mit der Sensibilisierung für die kritischen Wirklichkeiten im Internet bildet sich zunehmend auch ein digitales Bewusstsein mündiger Internetbürger heraus. Welche Spuren hinterlasse ich im Netz? Wie schütze ich meine Kinder vor möglichen Gefahren? Welche Dienste bieten mir Sicherheit und wer finanziert sich eigentlich wie?

Neben neuen Gesetzen und rechtlichen Regelungen liegt gerade in der Aufklärung der Nutzer eine der schärfsten Waffen, um überholte Internetmythen zu entzaubern und eine neue digitale Kultur zu schaffen, bei der nicht einige wenige, sondern möglichst viele Gesellschaftsgruppen gewinnen können. Denn am Ende entscheidet der Nutzer, welchem Dienst er welche Daten und welches Vertrauen schenkt. Glaubt man Gabor Steingart, kann es auch hier bald zu einem Wendepunkt kommen:

„Dem mündigen Internetbürger entgeht nicht, welche Anzeige ihm da von Seite zu Seite nachstiefelt; er ist dabei, Allergien zu entwickeln. Der Leser will, darf und wird sich nicht zur willenlosen Kauf- und Konsummaschine reduzieren lassen. Der Freiheitsdrang mag degeneriert sein, verschwunden ist er nicht. Stalking bildet auch im wahren Leben nicht das Vorspiel zur Eheschließung.“So viel steht schon heute fest: Die digitale Debatte ist ins Rollen gekommen und hat endlich das Stadium der Naivität und Gutgläubigkeit überwunden. Eine Wende, die mit Blick auf die Digitale Agenda der Deutschen Bundesregierung ihre Wirkung (hoffentlich) noch zur rechten Zeit entfalten kann und die wir weiter aufmerksam begleiten werden.