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Was passiert gerade im Bereich Rechtssetzung und Rechtsentwicklung?

Eine Einordnung von René Houareau, Geschäftsführer Recht & Politik beim BVMI

Aktuell ist wieder so viel im Bereich der Rechtssetzung und Rechtsentwicklung geschehen, dass sich eine Einordnung lohnt. Vor allem weil Rechtssicherheit nach wie vor ein wesentliches Element für ein erfolgreiches Wirtschaften in der Musikindustrie bleibt. Es geht bei den aktuellen Entwicklungen wieder zentral um die Haftung der digitalen Dienste.

 

Sie erinnern sich, man ist sich noch immer nicht ganz im Klaren darüber, was sogenannte Host-Provider eigentlich sind – und diese Einordnung ist schon wichtig für gewisse Haftungsprivilegien solcher Dienste. Mit der DSM-Richtline der EU hat man versucht, solche Dienste wie Youtube und TikTok, sogenannte Online Content Sharing Service Provider (OCSSPs) mehr in die Haftung zu nehmen. Diese Richtlinie wurde in Deutschland unter anderem mit dem Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG) zum 1. August 2021 umgesetzt. Man erinnert sich noch an die zahlreichen Aufreger rund um die Upload-Filter und ein Jahr nach der nationalen Umsetzung sieht man wieder: „Das Internet ist immer noch nicht kaputt.“ Allerdings birgt das UrhDaG zahlreiche Regelungen wie die Bagatell-Regelungen (15 Sekunden Musik zur Nutzung freigegeben) und die Direkt-Vergütungsansprüche, die in die zwischen Künstler:innen und Musikfirmen bestehenden Vertragsverhältnisse ungerechtfertigt eingreifen. Wie angekündigt erheben die Mitglieder des BVMI entsprechend Verfassungsbeschwerde.

 

Aber damit nicht genug: Die EU regelt weiter. In der Hoffnung, tatsächlich einen digitalen harmonisierten Binnenmarkt herzustellen. Hier gibt es zwei wesentliche Regelwerke: den Digital Markets Act (DMA) und den Digital Service Act (DSA). Da es sich jeweils um Verordnungen handelt, ist keine Umsetzung qua Gesetz in deutsches Recht notwendig, eine praktische Umsetzung in Form von der Ausgestaltung einer Behörde jedoch schon. Die DMA-Verordnung soll im Wesentlichen wettbewerbsrechtliche Verpflichtungen für große Online-Plattformen festlegen, die als „Gatekeeper" fungieren. Der DSA ist eines der zentralen Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene. Es hat zum Ziel, die zentralen Akteur:innen und deren Verhältnisse zueinander erneut haftungsrechtlich zu ordnen und einen einheitlichen digitalen Binnenmarkt weiter zu stärken. So die Theorie. Zentral sind die Themen: Anwendung der Haftungsregelung für Suchmaschinen, Anforderungen für Take-Down Meldungen, das Subsidiaritätsprinzip – also, wer haftet zuerst – und das „Know Your Business Customer“-Prinzip. Auf letzterem hatten viele Hoffnungen gelegen, weil man sich seitens der Rechteinhaber:innen gewünscht hatte, dass Digitale Dienste wissen sollten, wer ihre Kunden sind, um diese im Falle einer Rechtsverletzung angehen zu können. Vielleicht sollte es ungewöhnlich erscheinen, wenn der Kunde MickeyMouse123 heißt und in der Musterstraße wohnt.

 

Schwierig ist auch, dass es nicht nur international substanzielleAbstimmungs­schwierigkeiten und Koordinationsbedarfe gibt, sondern dass diese auch mit existierenden deutschen Gesetzen bestehen, wie z.B. dem Netzwerk-Durchsetzungsgesetz (Stichwort: aktive Verpflichtung von Sozialen Netzwerken wie Facebook zur Eindämmung von hate speech) und dem Telemediengesetz (Stichwort: Haftung von Plattformen). In der Essenz ist das immer mehr ein Flickenteppich statt einer einheitlichen Rechtslage.

 

Schauen wir uns an, was derzeit die Gerichte mit diesen Themen machen. Während Polen die Rechtmäßigkeit einer zentralen Regelung der DSM-Richtlinie (Artikel 17) angezweifelt hatte und vom Europäischen Gerichtshof mit dessen Urteil vom 26. April 2022 gerade festgestellt wurde, dass diese EU-rechtskonform ist, schaut sich der Bundesgerichtshof (BGH) immer wieder die Haftungslage konkreter Dienste an. In den Uploaded-Verfahren und in dem Parallelverfahren von YouTube hat der BGH sein Urteil am 2. Juni 2022 verkündet. Beides sind sogenannte Host-Provider. Beide Verfahren wurden vom BVMI begleitet. Das Urteil samt Urteilsgründen liegt noch nicht vor. Dennoch wurde bereits durch die Pressemitteilung des BGH deutlich, dass dieser die Störerhaftung im vollharmonisierten Bereich der öffentlichen Wiedergabe nun endgültig durch die Täterhaftung ersetzt, bzw. ergänzt. Heißt: Die Haftung der Host-Provider wird verschärft und ein Anspruch auf Unterlassen und Schadensersatz etabliert, soweit die entsprechenden Merkmale vorliegen. Ein substanzieller Erfolg!

 

Leider sieht der BGH die Lage bei den sogenannten Access-Providern derzeit scheinbar nicht ganz so klar gegeben. Zur Erinnerung: Access-Provider sind Zugangsdienste wie bspw. die Telekom oder vodafone. Ihrer Auffassung nach leiten sie Inhalte bloß durch und sie sind in der Tat qua Gesetz haftungsprivilegierter. Dennoch sind die Rechteinhaber stets der Auffassung, dass sie als Teilhaber dieses Ökosystems ebenfalls haften müssen. Nun scheint der BGH der Ansicht zu sein, dass eine Subsidiarität für diese Access-Provider gelten kann. In dem konkreten Fall, der von einem großen Wissenschaftsverlag betrieben wurde, hat der BGH sich in der mündlichen Verhandlung dahin geäußert, dass vor dem Access-Provider zunächst ein EU-Hostprovider – notfalls gerichtlich – auf Auskunft in Anspruch genommen werden muss. Das würde bedeuten, dass der Access-Provider es sich etwas bequemer machen kann, denn die Rechtsverfolgung der „vorrangigen“ Dienste kostet natürlich wertvolle Zeit. Zeit, die Rechtsverletzer und die entsprechenden darum sortierten Geschäftsmodelle gerne nutzen.

 

Es bleibt spannend. Das Urteil hierzu wird am 13. Oktober 2022 veröffentlicht. Der Haken für den deutschen Gesetzgeber: Eine EU-Richtlinie (Art. 8 Abs. 3 InfoSoc Richtlinie) verlangt, dass Rechteinhaber effektiv Rechtsschutz unter Inanspruchnahme auch von Access-Providern suchen können müssen. Das ist mit der obigen Entscheidung ggf. nicht mehr der Fall. Eine Beschwerde der Musikindustrie wegen Nichtumsetzung liegt aktuell bei der EU-Kommission.